Eine Woche um Grenoble
"Will jemand zur Stella Alpina?“ schreibt einer in der Whatsapp-Gruppe. Dumme Frage: Ja, ich will! Und zwar schon lange, aber jetzt habe ich endlich genug Urlaub dank 90% Teilzeit = 52 Urlaubstagen im Jahr. Ein Campingplatz ist schnell gefunden (Camping de Ser-Sirant bei Saint-Théoffrey auf ca. 940 Höhenmetern, 20 km südlich von Grenoble), Anreise per Anhänger ist ebenfalls klar, und dann kommt auch noch ein Dritter dazu. Somit sind Michael „BDR529“ auf R1200GS und Sebastian „Tremor“ auf KTM 690 SMC-R dabei.
Jetzt kommt viel Technikkram, der vielleicht nicht jeden interessiert, daher zum Aufklappen:
Da meine Versys vom letzten Cevennen/Pyrenäen-Trip (BDR529 berichtete) zur Hochsaison der Werkstätten noch ziemlich in Fetzen hängt, wird es für mich zeitlich saumäßig knapp. Donnerstag soll die Anreise beginnen, von Montag bis Mittwoch vorher steht sie in der Werkstatt in Düsseldorf und bekommt eine überholte Gabel (links undicht), eine tiefgreifende Analyse des Kühlsystems (Lampe an und komische Geräusche, und zwar nicht nur das Versys-typische „Kaffeemaschine“), einen neuen Auspuff (rüttelt sich immer irgendwas los), ein neues Kettenkit (wegen Geräuschen und ungleichmäßiger Längung) und bei der Gelegenheit einen neuen TÜV-Aufkleber (interessiert in Frankreich zwar niemanden, aber weil sie schon mal da ist…). Das haut zeitlich hin. Als weiteren Sonderwunsch hatte ich „Einbau Heckhöherlegung“ auf den Zettel geschrieben und das Teil beigelegt, aber dazu kam es leider nicht mehr. Es haute zeitlich wirklich gerade so hin.
Als ich die Maschine am Mittwochabend abhole stelle ich fest, dass die genannten Mängel behoben sind, dass sie jetzt leider aber einen viel schlimmeren dazu bekommen hat, nämlich plötzlich auftretenden heftigen Leistungsverlust bei Volllast im mittleren Drehzahlbereich, der sich wie Zündaussetzer anfühlt. Da "Volllast im mittleren Drehzahlbereich" nun mal mein Hobby ist, weil es einem in diesem Zustand sicherlich jede Kurvenlinie versaut, weil es Unruhe ins Fahrwerks bringt und mich durchschüttelt dass mir schwindelig wird, ist das natürlich ein unhaltbarer Zustand. So kann ich nicht in den Urlaub fahren. Meine Zweitmotorrad, die selige Honda NTV mit ihren 110000 km, hat die Gabel unsagbar undicht und sifft massiv auf die einzelne Bremsescheibe vorne, die kommt also auch nicht in Frage. Ich montiere trotzdem schon mal das zweite Hinterrad in die Versys, der BT016 Pro darauf hat nämlich noch genug Profil für den Urlaub, im Gegensatz zum anderen Rad mit dem S21, den ich nur für den TÜV montiert habe, weil vorne auch ein S21 montiert ist und man S21 und BT016 Pro nicht kombinieren darf, weil man sonst sicherlich sofort tot vom Motorrad fällt, in der Sekunde nachdem man auf den Startknopf gedrückt hat.
Leider habe ich am Donnerstag auch noch eine Dienstreise und kann mich nicht wirklich um ein Ersatzfahrzeug kümmern, denn alle Vermieter arbeiten nur von 9-17 Uhr, gehen außerhalb dieser Zeiten nichts ans Telefon und würden es erst recht nicht einem Fremden per Telefon ermöglichen, irgendwie und innerhalb von 24 Stunden außerhalb dieser Zeiten an ein Motorrad zu kommen. Ich hatte auch noch die Option erwogen, ein Motorrad zu kaufen - schließlich steht da dieses neue geile Luder nur eine Stadt weiter - aber da hätte ich es nicht mehr zur Zulassung geschafft. Dann finde ich allerdings dank Versysforum jemanden, der mir seine Versys 650 überlassen würde! Das wäre die Lösung.
Allerdings kann ich auch der Werkstatt noch eine Chance geben, denn meine Dienstreise führt quasi daran vorbei. Ich muss nur in Düsseldorf (Werkstatt) statt Essen (Wohnung) in die Bahn nach Frankfurt steigen. Meinen Businessanzug kriege ich im Topcase versteckt. Glücklicherweise haut das von den Uhrzeiten her gut hin, ich kann sogar noch in der DB Lounge ein Eis schlecken. Der Werkstattmeister ist sich keiner Schuld bewusst, nimmt aber Anteil an meinem Problem und würde mir notfalls auch sein eigenes Motorrad vermieten (R1100GS mit Supermoto-Umbau). Er ist halt auch Motorradfahrer.
Meine Dienstreise verläuft zufriedenstellend. Am Rückweg irgendwo zwischen Frankfurt und Köln kommt die Whatsapp-Nachricht "Dein Motorrad ist fertig". Das wollte ich hören! Also in Düsseldorf raus aus dem ICE, in die nächste S-Bahn und wieder bei der Werkstatt aufgelaufen. Der Fehler wurde gefunden: Ohne Powercommander läuft es einwandfrei. Der Powercommander dient normalerweise zur Anpassung des Gemischs, bei mir aber nur als Schaltautomat. Die 650er will schließlich fleißig geschaltet werden, wenn's schnell gehen soll. Und es soll sehr schnell gehen. Mit dem Schaltautomat spart man sich das Rühren am Gasgriff bzw. Gezupfe an der Kupplung. Da ich auf meine Handgelenke aufpassen muss ist das für mich ein wichtiges Feature.
Langer Rede kurzer Sinn: Ich muss diesen Urlaub wohl ohne Schaltautomat auskommen, habe aber mein eigenes Motorrad unter dem Hintern, also mit meinem Navi, meiner Sitzbank, meinem Lenker und von mir ausgewählten und angefahrenen Reifen (S21 vorne, BT016 Pro hinten). Und ich bin heute nicht mal spät dran.
Also ab nach Hause, packen, packen, packen und ab zu Michael, eine Stunde Autobahn, dort auf den Hänger aufladen, Gepäck im Auto verstauen und dann Autobahn, Autobahn, Autobahn durch die Nacht. Es fällt uns mal wieder auf, wie wenig Baustellen es auf französischen Autobahnen gibt. Wir sehen insgesamt zwei. Auf meinem Weg zu Michael (eine Stunde) habe ich bestimmt zehn gesehen, und bei acht davon könnte ich nicht sagen, dass sich die letzten sechs Monate dort irgendwas verändert hätte. Dafür kosten die ca. 600 km französische Autobahn aber auch an die 40 Euro Maut (pro Strecke).
Wir passieren morgens gegen 10 Grenoble und machen noch einen Stopp bei Decathlon, wenn der schon am Weg liegt. Wir kommen schließlich Freitagmittag ohne Probleme am Campingplatz „Camping de Ser-Sirant“ nahe Laffrey an. Er liegt unglaublich idyllisch an einem großen See, 20 km südlich von Grenoble auf einer Hochebene, hat ein Restaurant und ein Waschhaus mit allem Komfort. Durch die Lage auf der Hochebene mit einem See ist das Klima sehr angenehm und weder nachts besonders kalt noch tagsüber besonders heiß. Das ist für mich das erste Mal zelten, wo das Zelt morgens trocken ist.
Ob man nach einer bis auf 2-3 Stunden Halbschlaf durchfahrenen Nacht Motorrad fahren sollte, darüber lässt sich streiten. Ich fühle mich relativ fit und habe unglaublich Bock auf Bike, also fahre ich auch als Probefahrt zum ersten Passknackerpunkt, der gerade mal 2 Kilometer entfernt ist. Dabei stelle ich wieder mal fest, dass man die Spiegel und den Tacho putzen sollte, wenn man das Motorrad zuvor stundenlang rückwärts über die Autobahn gezogen hat. Außerdem probiere ich noch die Kurvenstrecke ins Tal runter aus, was mich zur Erkenntnis bringt, dass ich Vertrauen in mein Motorrad habe. Die Erfahrung mit den rührenden Reifen in den Pyrenäen hatte mich verunsichert. Die T30 Evo hatten zwar noch Profil, fühlten sich aber an als würde man andauernd auf Längsrillen fahren. Das Vertrauen ist jetzt wieder da, auch wenn die Kette anscheinend immer noch gegen Auspuff schlägt, zumindest klackert es manchmal, aber das kann man vielleicht noch einstellen. Auch die überholte Gabel und die Abwesenheit von Kühlwasser auf meinem rechten Stiefel geben Vertrauen. Und das werde ich ob der zu erwartenden Kurvenorgie brauchen.
Probefahrt zum (wenig nützlichen) Col des Creys, 1090 m
Aussicht auf den Grand Lac de Laffrey, an dem unser Campingplatz liegt (links) und Lac de Pétichet (rechts). Den Berg im Hintergrund könnte man vielleicht auch befahren…?
Als Sebastian gegen Abend ankommt und mit Aufbau fertig ist diskutieren wir den nächsten Tag. Stella Alpina ist gesetzt – das höchste Motorradtreffen in den Alpen. Besuchen ganz klar JA - aber dort wirklich übernachten? Zelte abbauen, Gepäck spazieren fahren, Zelte aufbauen, campen auf 2100 Höhenmeter, Zelte abbauen, Gepäck spazieren fahren, Zelte aufbauen? Eher nein. Nein? Nein. Damit kann ich dann auch lästiges Rohrwerk von der Versys schrauben und ein paar Kilo leichter die Pässe stürmen. Macht objektiv gesehen vielleicht wenig Sinn, ist aber mein Hobby. Anschließend wird im überraschenderweise relativ warmen See gebadet, dünnes Zeug gequasselt und die Anreise zur Stella Alpina geplant. Darauf habe ich mich schon lange gefreut, entsprechend gehe ich mit einem Grinsen zu Bette.
Ein Hinweis in eigener Sache: Leider werden die Bilder hier bei MO24 stark verkleinert abgebildet. Dieser Bericht lebt auch von den Bildern. Ich investiere auch viel Zeit in die Bilder. Wer die Bilder in voller Pracht (1200px Breite) sehen will, kann sich den gleichen Bericht im Versysforum auch (ohne Anmeldung) ansehen: Link. Ein entsprechender Hinweis an die Boardleitung hier ist anhängig.