Seit einigen Jahren, genaugenommen, seit ich eine Reiseenduro fahre, unternehme ich geführte Touren mit anderen Motorradfahrern in das Gebiet rund um den Braukohle-Tagebau Garzweiler.
Die Dinge, die man dort zu sehen bekommt, sind beeindruckend, und das nicht ausschließlich im positiven Sinn, denn die Menschen, die dort leben, sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und sich in anderen, teilweise völlig neu entstandenen, Orten anzusiedeln. Für einige ist das eine willkommene Gelegenheit, sich finanziell zu verbessern, denn die Entschädigung durch RWE ist recht großzügig, wenn auch nicht mehr so umfangreich, wie in früheren Jahren.
Wo es für den einen die Gelegenheit ist, das Kaff zu verlassen, in dem er ohnehin nicht alt werden wollte, ist es für andere ein schmerzhafter Einschnitt ins Leben. Gerade ältere Menschen, die viele Erinnerungen mit dem Ort verbinden, der bald nicht mehr existieren wird und die gehofft haben, irgendwann dort ihre letzte Ruhe zu finden, wo schon etliche Generationen der Familie begraben liegen, werden regelrecht entwurzelt.
Der heutige Ausflug sollte für einige Transalpfahrer aus dem Ruhrgebiet die Gelegenheit sein, endlich auch einmal einen Blick auf die imposante Landschaft zu werfen, die im Rahmen der Braunkohlegewinnung zum Leid der einen und zum Glück der anderen entsteht.
Wir trafen uns gegen 11:00 Uhr bei mir in Düsseldorf und starteten nach einer kleinen Aufwärmphase - die anderen Fahrer waren zum Teil eine Stunde zuvor bei Minustemperaturen im Ruhrgebiet aufgebrochen - mit sechs Motorrädern in Richtung Grevenbroich, der selbsternannten Energiehauptstadt ...
Unsere ersten Ziele waren die Kraftwerke Frimmersdorf und Neurath, deren Verdunstungsausstoß der Kühltürme in der Herbstluft imposante Wolken erzeugte.
Vor dort fuhren wir, einen Umweg durch Grevenbroich nehmend, zum offiziellen Aussichtspunkt am Nordende des Tagebaus Garzweiler. Trotz der nicht vollständig klaren Luft und der damit verbundenen "schlechten" Sicht war der Anblick gewohnt imposant, zumal direkt unterhalb des Aussichtspunktes der Kohleflöz erreicht war und man einen Eindruck von den Mengen und Ausmaßen gewinnen konnte.
Nachdem man die Abraum- und Förderbagger zunächst als zwar groß, aber nicht unbedingt riesig eingeschätzt hat, ändert sich das Bild, sobald man ganz bewusst ein paar Punkte anvisiert, deren Größe man einschätzen kann. Erst dann realisiert man, dass die kleinen Fahrzeuge dort unten Lkws und große Baustellenbagger sind und entdeckt auch Personen, die sich im Umfeld der Fahrzeuge aufhalten.
Da aber allein das Wissen über die Ausmaße der Bagger nicht ausreicht, um einen wirklichen Eindruck zu gewinnen, sollte unser nächster Stopp in der Nähe der Abbruchkante sein, wo wir hofften, einen der Abraumbagger aus nächster Nähe sehen zu können. Das klappt nicht immer, und oft genug musste ich in der Vergangenheit unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil das Gebiet um den Abbau neu abgesperrt worden war oder sich an der westlichen Abbruchkante gerade kein Bagger in Aktion befand.
Doch wir hatten Glück. Meine noch vom Mai bekannte legale Einfahrt in das Gebiet westlich vom Tagebau war zwar mittlerweile gesperrt, aber wir fanden nicht viel weiter einen Weg, der zwischen den Feldern, die in diesem Jahr wahrscheinlich ein letztes Mal bewirtschaftet wurden bis auf etwa 100 Meter an die Abbruchkante führte.
Da wir alle mit Enduros unterwegs waren, konnten wir die Feldwege, die durch das Wetter der letzten Tage nicht mehr ganz trocken waren, recht leicht nehmen und parkten die Fahrzeuge vor einem Erdwall. Ab dort ging es zu Fuß weiter, und wir befanden uns in Kürze direkt vor dem Abraumbagger, der sich in das Gebiet vorarbeitete, in dem wir uns aufhielten.
Erst hier, mit einem Abstand von weniger, als 30 Metern zum Bagger, waren dessen gigantische Dimensionen tatsächlich wahrnehmbar.
Mittlerweile pfiff uns der kalte Wind, dem wir auf der anderen Seite bei den Kraftwerken ausgesetzt waren, nicht mehr ganz so scharf um die Ohren, was die Finger beim Fotografieren und Filmen jedoch nicht daran hinderte, empfindlich kalt zu werden. Nachdem wir uns "sattgesehen" hatten, gingen wir wieder zurück zu den Maschinen und ließen Björn ein wenig den Acker pflügen. Er hatte sichtlich Spaß, aufgrund seiner fast abgefahrenen K60 allerdings nicht den Vortrieb, den er sich sicher gerne gewünscht hätte.
Ein kleiner Imbiss für die, deren Hunger sich nicht aufschieben ließ, und schon ging es weiter zu einem Ort der Art, die dieser Tour den Namen gab, zur Ghost Town Borschemich.
Hier zeigte sich auf beeindruckende Weise die Entwicklung der Siedlungen im künftigen Tagebaugebiet. Die meisten Häuser waren verlassen und verbarrikadiert. Einige waren noch bewohnt, wirkten aber nicht weniger trostlos. Es war regelrecht eine Geisterstadt oder, um einen zur Größe passenderen Ausdruck zu wählen, ein Geisterdorf.
Wenn man die Entwicklung verfolgt, so wie ich in den letzten Jahren, kennt man auch die weiteren Stufen des Niedergangs bewohnter Gebiete. Zuerst werden die Häuser abgerissen und der Boden abgetragen. Nach diesem Schritt bleiben lediglich die Straßen zurück. Ein eigenartiger Anblick, und ein eigenartiges Gefühl, wenn man weiß, dass man sich in einem Dorf aufhält, über Wege und Kreuzungen fährt, aber weder Häuser noch Bäume sieht. Dann werden die Straßen abgetragen und unterirdische Installationen entfernt, und danach ist das Gebiet bereit für den Abraumbagger, denn außer der Erde ist kaum noch etwas übrig geblieben.
So erging es, seit ich Touren in dieses Areal unternehme, zunächst Otzenrath, dann Holz und dann Pesch, wo gerade die abschließenden Vorarbeiten stattfinden.
Ich hatte gehofft, mit der Truppe noch ein paar weitere Stellen anzufahren, wie Immerath und Pesch und vielleicht noch einen kleinen Ausflug zu weiteren Offroad-Strecken machen zu können, doch Hunger, Kaffeedurst und die Tatsache, dass wir noch eine andere Sehenswürdigkeit besuchen wollten, bevor wir das letzte Tageslicht für die Heimfahrt nutzen konnten, ließen uns die Ghost Town Tour an dieser Stelle beenden und den Weg in Richtung Jüchen einschlagen. Dort, bei Polo, aßen wir eine Kleinigkeit, tranken unseren Kaffee und fuhren dann zum Crossgelände an der Ostseite des Tagebaus.
Am oberen Ende der Einfahrt zum Gelände hat man einen hervorragenden Blick auf die Strecken, aber dummerweise fand die heutige Aktion genau am anderen Ende statt, so dass wir kurzentschlossen um das Gelände herum fuhren, um von der Südwestseite aus ein Rennen zu beobachten, das gerade begann.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, und wir fuhren nach einer halben Stunde Aufenthalt also zurück nach Düsseldorf, um uns dann für den Abend in der Altstadt zu verabreden. Dort gab es in der Brauerei Zum Füchschen kaltes Bier statt kalte Finger, leckeres Essen und verdammt lustige Gesellschaft.
Bilder und eine GPX-Datei folgen in Kürze.
Edit: Statt der angekündigtenDateien, habe ich jetzt schnell mal eine Site erstellt, auf der ihr alles findet, was es über den reinen Text hinaus noch gibt:
www.klanor.de
Sobald ich dazu komme, wird die Site auch noch ein wenig überarbeitet (Design) und befüllt (weitere Inhalte).