Juhu, die erste Fahrstunde ...
Vor der ersten Fahrstunde darf jeder Neuling ein bißchen freudig nervös sein, darauf sind Fahrlehrer eingestellt.
… und wie läuft das jetzt optimalerweise ab?
Die erste Praxisstunde sollte eine Doppelstunde sein. Sie beginnt auf einem abgesperrten Gelände, auf dem das Motorrad bereits steht. Der Fahrschüler kommt dort hin, trifft seinen Fahrlehrer, den er bereits vorher in den Theoriestunden oder bei einem Gespräch kennengelernt hat. Um die Nervosität, falls vorhanden, des Fahrschülers einzudämmen, gibt es einen kurzen Small-Talk bevor die Fahrstunde beginnt.
Das Motorrad kennenlernen ...
In den ersten fünfzehn bis zwanzig Minuten sollte der Fahrlehrer seinem Schützling das Motorrad erklären. Wo befindet sich die Fußbremse, wo die Kupplung, der Gasgriff usw. Der Fahrschüler wird dann aufgefordert, die von Fahrlehrer benannten Begriffe am Motorrad zu zeigen. (Fahrer von Motorrollern oder ambitionierte Mountainbiker verwechseln gerne den Hebel für Vorderradbremse und Kupplung) Diese Einweisung dient nicht nur dazu den Fahrschüler mit den Bedienelementen vertraut zu machen, sondern auch als Vorbereitung für die Abfahrtskontrolle, die Prüfbestandteil ist.
... und erspüren
Die ersten Übungen dauern ca. eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten und können* z.B. sein:
- Aufstellen des Motorrads vom Seitenständer und schieben
- Aufbocken des Motorrads auf den Hauptständer, Demonstration durch Fahrlehrer und Erklärung, wo das Motorrad am besten angepackt wird, wie es am leichtesten geht
- Aufsitzen bei ausgefahrenem Seitenständer, ohne Motor die Handhebel bedienen, die auf den Fahrschüler passend eingestellt werden, hierbei erläutert der Fahrlehrer die optimale Sitzposition
- Das Motorrad im Sitzen mit den Füßen vor- und rückwärts bewegen, es wird die Wirkung der Handbremse bei eingeschlagenen Lenker mit Absicherung durch den Fahrerlehrer erklärt, sowie durch den Fahrschüler erspürt.
- Das Motorrad ohne Motor im Sitzen vorwärts schieben, wobei mit der linken Hand bereits das Einkuppeln simuliert wird.
- abwechselnd im Stand ohne Motor jeweils den linken und den rechten Fuß auf die Raste nehmen
- bei guter Balance auch kurz beide Füße vom Boden abheben und ggfs. auf die Fußrasten setzen
- im Sitzen wird dem Fahrschüler der Gangwechsel vom Fahrlehrer erklärt, der rechte Fuß hält das Motorrad, der linke Fuß übt den Schalthebel zu finden ohne hinzugucken
- zwischen jedem Gang
wird mit Hand gekuppelt und der Kupplungshebel langsam
rausgelassen
das Einlegen bzw. Finden des Neutral (Leerlauf) wird geübt, zur Kontrolle wird das Motorrad mit den Beinen vorwärts bewegt - Auf- und Absteigen von beiden Seiten bei ausgefahrenen Seitenständer, wobei der Fahrlehrer das Motorrad ggfs. am Lenker stabilisiert
- Rundgang ums Motorrad, hierbei ist der Seitenständer ausgeklappt, das Motorrad wird umrundet, wobei es zunächst jeweils mit zwei Händen gehalten werden darf
- bei der zweiten Umrundung nur mit einer Hand, der Fahrlehrer zeigt dies jeweils und sagt dem Fahrschüler, wenn er dran ist, wo er festhalten soll. Diese Übung dient dem Verständnis, daß ein Motorrad, wenn es in Balance ist, federleicht ist.
* Diese Übungen sind nicht verbindlich. Es steht jedem Fahrlehrer frei, was er in sein Ausbildungsprogramm integriert.
Jertzt wird's endlich Zeit auch mal zu fahren ...
Der Fahrschüler schlüpft nun komplett in seine Schutzausrüstung und der Fahrlehrer kontrolliert, ob der Helm korrekt sitzt. Der Fahrschüler positioniert sich nahe am Tank und wird ggfs. vom Fahrlehrer korrigiert. Das Motorrad wird nach Anweisung des Fahrlehrers angelassen und dem Fahrschüler erste Anfahrvorgang nochmals erklärt. Der Fahrschüler zieht die Kupplung, legt den ersten Gang ein, richtet den Blick nach vorne und wird z.B. aufgefordert zu lächeln (entspannt die Schulter- und Nackenmuskulatur). Ohne Gas zu geben, wird langsam der Kupplungshebel rausgelassen um den Schleifpunkt zu erspüren. Der rechte Fuß ruht auf der Fußraste, vor allem um ungewolltes Mitlaufen (Paddeln) der Füße/Beine zu verhindern. Wenn der Punkt erreicht ist, wird die Kupplung wieder gezogen. Sollte sich das Motorrad ungewollt in Bewegung setzen, weil versehentlich Gas gegeben oder der Kupplungshebel zu weit raus gelassen wurde, bremst es der Fahrschuler mit der Fußbremse ab, sowie es der Fahrlehrer vorher erklärt, noch besser demonstriert hat.
Nach ein paar Mal Üben hat der Fahrschüler in etwa eine Ahnung davon, wie sich das anfühlt und kann nach Demonstration durch den Fahrlehrer, sowie dessen Erklärungen, das Motorrad ohne Gas zu geben, nur durch das Schleifen lassen der Kupplung, einige Meter vorwärtsbewegen, bevor der Kupplungshebel wieder gezogen wird. Bei der gesamten Übung ist der rechte Fuß immer auf der Fußraste (kein Paddeln) und der Blick nach vorne, auf einen vom Fahrlehrer benannten, Punkt (z.B. Zaunpfahl oder Verkehrsschild) gerichtet.
Die Anfahrübungen erweitern sich nach und nach, so daß der Fahrschüler zunächst im ersten Gang über den Platz fährt und der Fahrlehrer hübsch nebenher joggt. Zunächst wird das Motorrad ausschließlich durch Ausrollen lassen mittels Kupplungziehen verlangsamt. Es folgen weitere Übungen um das Motorrad mit der Fußbremse abzubremsen. Übungen im Stand um den Neutral und das Hoch- und Runterschalten mit dem Fuß, ohne hinzugucken, zu verfestigen. Große Aufmerksamkeit muß auf die Blickführung gelegt werden, die der Fahrlehrer, auch wenn's anfangs nervig ist, immer wieder erwähnt. Die Übungen wiederholen sich aufbauend bis zum zweiten Gang.
Das Ziel der ersten Fahrstunde ist, sich mit dem Motorrad und seinen Reaktionen zu vertraut zu machen, sowie von Anfang an zu lernen, daß man bei Langsamfahrt tunlichst die Finger von der Handbremse läßt. Die Fahrstunde wird, wie jede Fahrstunde, durch ein kurzes Feed-Back-Gespräch beendet, in dem die wesentlichen Lernfaktoren kurz angesprochen werden und ein Ausblick auf die Inhalte der nächsten Fahrstunde, die idealerweise am übernächsten Tag erfolgen sollte, gegeben wird.
Wenn ein Fahrschüler noch nicht mit den Bedienelementen und dem Ablauf von Anfahren, Kuppeln und Bremsen vertraut ist, gehört er nicht in den öffentlichen Straßenverkehr.
.... und wie sieht die Realität tatsächlich aus?
Ehrliche Antwort? Ziemlich durchwachsen. Das blödeste, was einem passieren kann, ist direkt hinter dem Fahrschulauto nur nach kurzer Erklärung in den Straßenverkehr geschickt zu werden mit den Worten "Auto fährst Du schon, Verkehrsregeln kennst Du." Da sollte man streiken und höflich bestimmt auf erste Fahrübungen bestehen.
Leider steht vielen Fahrschulen kein eigenes Gelände zur Verfügung, so daß die Anfahrübungen auf einem engen Garagenhof oder einer wenig befahrenen Straße erfolgen. In einem Garagenhof ist für den Neuling, so rein gefühlsmäßig, zu wenig Platz, so daß es vorkommen kann, daß nur zögerlich geübt wird. Es entsteht unnötig Streß, wenn da noch ein Auto irgendwo vor der Garage steht, ein weiteres in den Garagenhof einfährt oder Personen zu ihren Fahrzeugen laufen.
Eine wenig befahrene Straße, an der Autos parken, ist auch nicht optimal. Hier kommt erfahrungsgemäß genau dann ein anderes Fahrzeug, wenn der Fahrschüler mit einer neuen Aufgabe beschäftigt ist. In der ersten Fahrstunde braucht der Fahrschüler noch seine ganze Aufmerksamkeit um sich auf die Bedienung des Motorrads zu konzentrieren. Manche Fahrschüler haben auch Bedenken oder Angst, daß sie die parkenden Autos beschädigen würden, da sie das Motorrad noch nicht beherrschen oder falls sie unkontrolliert umkippen würden.
Die Fahrschulen weichen oft auf private Betriebsgelände, wie Speditionshöfe oder Industrieglände (Absprachen mit Eigentümer) aus oder nutzen große, öffentliche Parkplätze. Das ist die bessere Alternative, denn dort ist dem Neuling (fast) nichts im Weg und die Ablenkung von außen ist deutlich geringer.
Nur wenige Fahrlehrer demonstrieren von sich aus auf dem Fahrschulmotorrad die erklärten Übungen. Der Fahrschüler sollte sich nicht scheuen danach zu fragen.
Wissenswertes zur Fahrstabilität
Der Körper des Motorradfahrers stabilisiert die Langsamfahrt des Motorrads. Die Verbindung "Mensch und Motorrad", mit einer möglichst ausgeglichenen, lockeren Sitzposition, Fahrer sitzt drauf, die Füße auf der Fußraste, die Knie am Tank, die Hände am Lenker, hält das Motorrad in der gewünschten Richtung und in Balance.
Ein sich in Fahrt befindendes Motorrad fällt üblicherweise nicht um. Diese Tatsache beruht auf den Prinizipien Balance im Langsamfahrbereich und den Kreiselkräften im schnelleren, sog. stabilen, Fahrbereich. Ist das Motorrad absolut gerade, kippt es nicht um. Wenn der Fahrer drauf sitzt, muß er mittels Lenkerbewegungen und moderater Gewichtsverlagerung dafür sorgen, daß der Schwerpunkt des Motorrads sich oberhalb der Auflagefläche der Reifen befindet. Ab einem Tempo von etwa 10 km/h verläßt das Motorrad den schwankenden Kenterbereich, weil durch die drehenden Räder stabilisierende Kreiselkräfte wirken.
Wer sich ans Erlernen des Fahrradfahrens in seiner Kindertagen erinnert, weiß, daß einen die Eltern nicht am Lenker festgehalten haben, sondern am Sattel, an Gepäckträger oder am Kragen. Denn jeder Eingriff im vordereren Bereich eines Fahr- oder Motorrads bei langsamen Tempo stört die Stabilität und die Lenkbarkeit. Das Betätigen der Hinterradbremse verlagert den Druck ganz leicht auf den vorderen Bereich des Motorrads, so daß das Zweirad sicher mit Schrittgeschwindigkeit gelenkt werden kann. Je langsamer das Motorrad fährt, desto mehr wirken sich die Aktionen des Fahrers aus.
Ab einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h (abhängig vom Motorradtyp) beginnt der eigenstabile Bereich des Motorrads. Je tiefer der Schwerpunkt eines Motorrads ist, desto stabiler fährt es geradeaus. Die Rotationsenergie der Räder stabilisiert das Motorrad im Fahrbetrieb. Diese sich drehenden (rotierenden) Massen haben ein Trägheitsmoment. Je schneller sich die Räder drehen (Umdrehungsanzahl = Fahrgeschwindigkeit) desto mehr widersetzt sich die dabei an den Rädern entstehende Rotationsengerie einer Kippbewegung. Allerdings reagiert das Motorrad bei hohen Geschwindigkeiten (= große Rotationsenergie) auch wesentlich träger auf Lenkbewegungen, weil es einen sehr stabilen Vorwärtsdrang durch die wirkende Kräfte geradeaus bekommt. Kleine Räder am Motorrad machen es agiler, große Räder haben einen stabileren Geradeauslauf.
Zum Angucken
einige Videos aus You Tube um einen Eindruck zu gewinnen, wie Fahrstunden ablaufen können
→ Fahrstunde A1 125 ccm ab 1:36 Min, Übungen auf einem Parkplatz
→ erste Fahrstunde A ab 04:10 Min auf einem Parkplatz
→ Fahrstunde A Zusammenschnitt mehrerer Stunden, Fahrlehrer begleitet auf Motorrad
→ erste Fahrstunde Umstieg A1 auf A ab 05:13 Min, Fahrlehrer begleitet auf Motorrad
So, und nun viel Spaß bei den ersten Rollversuchen.
Anmerkung: In allen Teilen des Artikel wird das generische Maskulinum für Personen verwendet, mit dem alle Menschen (w, d, m) angesprochen sind. Die spezifische Form für Personen wird verwendet, wenn es um bestimmte Personengruppen geht.