Rentner überfahren - Anklage wegen Mord

  • Okay, Mordmerkmal "gemeingefährliche Mittel" kann man stehen lassen. Nur wo ist jetzt der Vorsatz, jemanden zu schädigen oder zu töten?

  • Wenn ich das richtig verstehe gibt es nur 2 Möglichkeiten: Vorsatz oder Fahrlässigkeit.


    Fahrlässige Tötung ist entsprechend der Begründung raus:

    Zitat

    Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolges in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet... Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar...


    Das heist, wenn der "Täter" also der Raser wusste, dass durch sein stark beschleunigtes Fahrzeug im Stadtgebiet ein Mensch hätte getötet werden können, handelt er vorsätzlich, weil er trotz dieser Kenntnis entsprechend handelt. Er nimmt also ein Todesopfer "billigend in Kauf" bzw. denkt, "dann ist das halt so".
    Durch die Raserei macht er ein Auto zu einer gemeingefährlichen Waffe (gemein hier nicht im Sinne von gemein oder böse sondern im Sinne von Waffe gegen die Allgemeinheit also auch unbeteiligte betreffend).
    Fraglich ist dann noch ob das "Wissens- oder Willenselement" fehlt, dem Täter also,

    Zitat

    obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements).


    Ist hier der bedingte Vorsatz (also dolus eventualis) erfüllt, sind wir bei Mord. Der liegt dann vor, wenn das Wissens- und Willenselement nicht fehlen. Alkoholisiert oder psychisch gestört? Klar ein an der Macke, wenn er so rast im Stadtgebiet aber nicht von wahnvorstellungen oder shizzophrenie geplagt (nicht abschließende Beispiele). Fehlen des Wissenselements daher (-); Kann man darauf vertrauen, wenn man mitten in der Stadt mit über 100 km/h unterwegs ist und sogar rote Ampeln überfährt, dass niemand zu Schaden kommt? Wohl eher nicht. Das Willeneselement fehlt hier also auch nicht. Er WOLLTE schnell fahren, er WOLLTE den Kick, er WOLLTE daher auch andere gefährden.

    Zitat

    Schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers rechtfertigt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes...Der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter hat kein Tötungsmotiv, sondern geht einem anderen Handlungsantrieb nach...
    Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt klar, dass Gleichgültigkeit gegenüber der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts für den dolus eventualis bei Tötungsdelikten genügt. Ferner betont sie die Bedeutung der Größe und Anschaulichkeit der vom Täter wissentlich geschaffenen Lebensgefahr auch für das Willenselement des Vorsatzes. Liegt eine große und anschauliche Todesgefahr vor, so genügt das zur Begründung der Zuschreibung des dolus eventualis.

    , wo diese Rechtsprechung genau herkommt, ist dem Urteil leider nicht entnehmbar. Müsste man recherchieren.


    Ich bin auch kein Volljurist, hab nur eine kleine juristische Ausbildung und arbeite täglich mit EU- und Bundesgesetzen. Mit Strafrecht hab ich zwar auch etwas zu tun aber eher mit Verwaltungs- und Ordnungsrecht. Strafrecht ist zudem ECHT kompliziert, von daher verwirre ich vermutlich gerade mehr als ich helfe ^^
    Meine Ausformulierungen dazu beziehen sich aber nur auf die Begründung des Urteils der beiden Autorennfahrer aus Berlin, ich kenne die Begründung des Motorradfahrerfalls nicht.

    2 Mal editiert, zuletzt von HenDre1991 ()

  • Danke für deine Ausführungen! Ich konnte dem zu 99% folgen. Nicht konform gehe ich mit der Einschätzung, dass

    Zitat

    er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements).


    Ich denke er dachte, er hätte es im Griff und würde keinen Unfall bauen. Dafür lieben solche Leute doch schon ihre Autos viel zu sehr. Ich wage sogar die Behauptung, dass er so ein Rennen nicht zum ersten Mal gemacht hat. Es gab vor 20 Jahren schon Leute, in die in Berlin zum Spaß über rote Ampeln gefahren sind (persönliche Erfahrung).


    Unklar ist mir angesichts der Urteilsbegründung - und das ist jetzt natürlich wieder Hausfrauenlogik - warum dann nicht auch jeder andere unbeteiligte Getötete bei sportlicher Fahrweise ein Mordopfer ist. Ist die Abgrenzung "innerorts", oder "mehrere rote Ampeln"? Im erweiterten Bekanntenkreis ist vor 20 Jahre jemand auf dem Motorrad in einer Rechtskurve gestürzt und wurde von einem entgegen kommenden Auto erfasst. Er wurde schwer verletzt, hat aber überlebt. Aber: Das Motorrad hat sich unter dem Auto verkeilt und die Vorderräder in die Luft gehoben. Der Fahrer konnte nicht mehr bremsen oder lenken, das Auto fuhr gegen einen Baum, und alle vier Insassen sind dabei gestorben. Daran hatte der Motorradfahrer moralisch ganz schön schwer zu knacken, aber in Haft musste er nicht.

  • Ich denke er dachte, er hätte es im Griff und würde keinen Unfall bauen. Dafür lieben solche Leute doch schon ihre Autos viel zu sehr.


    Ein gewisses Indiz dagegen wäre die Existenz einer Vollkasko-Versicherung, die ja vor allem die eigene Unfähigkeit absichert.

    WELCOME TO THE RIDE OF YOUR LIFE

  • Danke für deine Ausführungen! Ich konnte dem zu 99% folgen. Nicht konform gehe ich mit der Einschätzung, dass
    Zitat
    er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements).


    Ich denke er dachte, er hätte es im Griff und würde keinen Unfall bauen. Dafür lieben solche Leute doch schon ihre Autos viel zu sehr. Ich wage sogar die Behauptung, dass er so ein Rennen nicht zum ersten Mal gemacht hat. Es gab vor 20 Jahren schon Leute, in die in Berlin zum Spaß über rote Ampeln gefahren sind (persönliche Erfahrung).


    Ich glaube hier wird von einem vagen Vertrauen auf Ausbleiben eines tödlichen Erfolges ausgegangen. Schon allein durch diese Brems- und Anhalteweg Rechnerei in der Fahrschule und Bestehen der theoretischen Prüfung beweist man, dass man zwar nicht mehr die genaue Formel, wohl aber eine ungefähre Vorstellung von einem Anhalteweg haben muss. Wenn der Herr keinen Führerschein gehabt hätte, wäre diese Abwegung vielleicht anders ausgegangen? Ich weiß es nicht. Aber jemand der über eine Lizenz verfügt einen PKW führen zu können, der muss wissen, dass man mit 140km/h einen längeren Bremsweg hat als von Haltelinie bis Querverkehr, insbesondere bei einer roten Ampel. Anders zu betrachten ist das z.B. auf einer Landstraße/Autobahn, dazu gleich mehr.


    Das ist alles auch nur mein Verständnis von dem Urteil, ich bin wie gesagt kein Volljurist. Ich persönlich halte die Verurteilung "Mord" auch viel zu überzogen (jetzt hab ich doch eine Meinung abgegeben), ich denke das Gericht wollte hier einen Präzedenzfall schaffen um andere Raser davon abzuhalten, so ein Verhalten an den Tag zu legen.


    Unklar ist mir angesichts der Urteilsbegründung - und das ist jetzt natürlich wieder Hausfrauenlogik - warum dann nicht auch jeder andere unbeteiligte Getötete bei sportlicher Fahrweise ein Mordopfer ist. Ist die Abgrenzung "innerorts", oder "mehrere rote Ampeln"? Im erweiterten Bekanntenkreis ist vor 20 Jahre jemand auf dem Motorrad in einer Rechtskurve gestürzt und wurde von einem entgegen kommenden Auto erfasst. Er wurde schwer verletzt, hat aber überlebt. Aber: Das Motorrad hat sich unter dem Auto verkeilt und die Vorderräder in die Luft gehoben. Der Fahrer konnte nicht mehr bremsen oder lenken, das Auto fuhr gegen einen Baum, und alle vier Insassen sind dabei gestorben. Daran hatte der Motorradfahrer moralisch ganz schön schwer zu knacken, aber in Haft musste er nicht.


    Das kann man natürlich nicht allgemein gültig beantworten, weil es sehr Einzelfall abhängig ist. Zu dem Argument Außerorts, finde ich schon, dass man das werten sollte. Auf einer Landstraße, vielleicht sogar mit Leitplanken, ohne Ampelkreuzungen oder Querverkehr kann man eher davon ausgehen, dass niemand auf die Fahrbahn hüpft als im Stadtgebiet. Dann ist halt fraglich ob es sich überhaupt noch um eine gemeingefährliche Waffe handelt.


    Um dein Beispiel einfach mal kurz zu behandeln (übrigens eine echt tragische Story :huh: :(
    Ich kenne nicht genug Details aber nur mit dem was du mir genannt hast, würde ich das wie folgt bewerten (wobei meine Meinung ja ohnehin nicht interessiert, aber sie macht eine Abgrenzung zu dem Autorennen in der Stadt klar).
    §211 StGB - Mord:
    Voraussetzungen:

    Zitat

    Mörder ist, wer
    aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
    um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
    einen Menschen tötet.
    ,
    Von Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, niedrige Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit brauchen wir gar nicht anfangen. Alles (-), vermutlich klar oder?


    Fraglich dann nur, Gemeingefährliches MIttel, weil das Auto im Autorennen war ja gemeingefährlich.
    Das sehe ich auch (-), weil so wie ich deine Story lese ist der Bekannte in einer Kurve auf "kuhscheiße" ausgerutscht und hat die Kontrolle über das Motorrad verloren. Das ist allenfalls tragisch aber dadurch hat er das Fahrzeug eben nicht zu einer gemeingefährlichen Waffe gemacht. Hier muss ganz klar differenziert werden. Hat er das Fahrzeug in einem Bereich, in dem Personenschäden wahrscheinlich sind, so stark beschleunigt, dass man nicht mehr auf ein Ausbleiben von tödlichem Ausgang vertrauen kann oder das Fahrzeug in einem "abgesperrten" Bereich bei angemessener/erlaubter Geschwindigkeit geführt? Wenn man hier die Gefahr für die Allgemeinheit verjahen würde, wäre jede einzige Fahrt mit einem PKW/Motorrad oder Fahrrad das Führen einer gemeingefährlichen Waffe. Wenn jetzt eine Wandertruppe auf dieser Landstraße unterwegs gewesen wäre und er hätte diese Wahrgenommen und extra beschleunigt (Vergleich Weihnachtsmarkt Berlin), DANN hätte er sein Motorrad zu einer gemeingefährlichen Waffe gemacht. Aber ein PKW so zu führen, wie es die Straßenverkehrsordnung erlaubt (ich denke mal nicht,dass in der Kurve nur 30 war und er ist wohl auch nicht mit 90 dadurch oder?) erfüllt diesen Tatbestand einfach nicht. Auch mit erhöhter Geschwindigkeit meiner Meinung nach nicht, weil eben davon auszugehen ist, dass er die Kurve auch tatsächlich befahren kann. Von einem Wegrutschen ist meiner Meinung nach nicht auszugehen. Hier wäre Rechtsprechung intressant.


    Hier sind wir beim Mord eigentlich schon raus.


    Bedingten Vorsatz sehe ich darüber hinaus auch nicht. Er hat schließlich "einfach nur ein Motorrad geführt" und nicht in einer Art und Weise, um einen Kick oder ein Youtube Video für viele Klicks zu erzeugen. Das war vermutlich eine fahrlässige Tötung, wenn er nachweisbar explizit nach der Straßenverkehrsordnung unterwegs war, also nicht zu schnell, mit angepasster Geschwindigkeit etc. vielleicht sogar eine Einstellung gem. §170 II StPO. Und das ist auch gut so. Alles andere wäre zu extrem.
    Der Vergleich ist zwar sehr Wage aber ich finde man kann ihn bringen um das Mittel "gemeingefährliche Waffe" zu erklären.


    Wer sein M4-Maschinengewehr auf einer dafür ausgezeichneten Shooting-Range abfeuert, der erfüllt den Tatbestand "gemeingefährliche Waffe" im Falle eines Todesfalls nicht (also wenn jemand träumt und in die Schußbahn rennt), der erfüllt auch den Vorsatz nicht, wohl aber Fahrlässigkeit, weil er sich hätte vergewissern müssen, dass die Schusslinie frei ist. Er schießt zwar mit einer tödlichen Waffe, aber in einem erlaubten Rahmen. Wer nun in der Innenstadt eine Zielscheibe aufstellt und darauf mit einer M4 schießt und dort ein Kind reinrennt, der tötet mit einer gemeingefährlichen Waffe.
    Wer sein Auto entsprechend der Straßenverkehrsordnung (oder auch zu schnell) auf einer Landstraße mit durchgezogenen Seitenlinien und ohne angrenzenden Fußgängerweg führt, der führt auch keine gemeingefährliche Waffe. Wer aber mit 140 durch die Kölner Innenstadt fährt, der macht das Auto zu einer gemeingefährlichen Waffe.

    2 Mal editiert, zuletzt von HenDre1991 ()

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