Ventilspiel einstellen am Beispiel der XJ600S RJ01

  • Moin,

    da ich es nun nicht mehr zum ersten Mal mache, seinerzeit aber händeringend nach einer detaillierten Anleitunge zum Einstellen der Ventile gesucht habe, schreibe ich nun selbst eine.

    Zunächst einige Grundlagen zum Einstellen des Ventilspiels:





    Wann das Ventilspiel zu kontrollieren und ggf. einzustellen ist, entnimmt man seinem (Werkstatt-)Handbuch. Bei der RJ01 habe ich ganz schön gestutzt. Alle 6.000km soll da der Ventildeckel runter. Bei der FZR 600R 4JH sind es satte 48.000km. Die Wartungsintervalle können also erheblich divergieren.

    Nun geht es los. Wir brauchen:

    • einen speziellen Hakenschlüssel zum Freilegen der Ventileinstellplättchen (Shims)
    • eine Messlehre, um Shims zu vermessen, deren Beschriftung abgescheuert ist
    • eine Ventillehre (am besten eine, bei der man durch Kombination zweier Blätter auf den 1/100mm genau messen kann
    • eine Ventileinstelltabelle - erstellt von Franz aus dem FZR-Forum für 5-Ventiler. Je nachdem, wieviele Ventile pro Zylinder euer Motorrad hat, braucht ihr nur einen Teil der Tablelle benutzen. Die meisten werden wohl einen 4-Ventiler fahren. Die XJ600S hat hingegen nur 2 Ventile pro Zylinder. Mit Vorsicht zu genießen ist der in der Tabelle "angestrebte" Mittelwert von maximalem und minimalem Ventilspiel. Da das Ventilspiel in der Regel immer kleiner wird, weil sich das Ventil mehr und mehr in den Zylinderkopf einarbeitet, orientiert man sich am oberen Ende des Ventilspiels. Schrumpfen tut es von alleine wieder, und so hat man die längste Zeit Ruhe.
    • das übliche Werkzeug
    • die Sollwerte der Ventile (s. Handbuch)


    Zunächst wird, wie fast immer, die Sitzbank demontiert:




    Dann wird der Tank gelöst...




    ...sämtliche Verbindungen zum Benzinhahn getrennt



    ...und auch der Überlaufschlauch entfernt.


  • Dann kann der Tank abgenommen werden.



    Es folgt der Luftfilterkasten (ndt. Airbox). Es ist deutlich zu erkennen, dass sich bei den ersten beiden Vergasern eine Menge Öl angesammelt hat.



    Hier ist das noch etwas besser zu erkennen:



    Nun werden alle Schellen sowie die Befestigung am Rahmen gelöst.



    Dann kommt der Kurbelgehäuseentlüftungsschlauch runter.



    Und was es da zu sehen gab, ließ mich etwas erschaudern. Wenn jemand weiß, was das ist, woraus es besteht, wie es entsteht und auf welchen Defekt es schließen lässt, der möge sich bei mir melden (ggf. in einem anderem Thread).

  • Also weiter, Luftfilterkasten runter:



    Nun muss der Vergaser entkabelt werden. Das umfasst das Lösen der Gaszüge...



    ...der Schellen auf den Ansaugstutzen...


    ...der Spritzufuhr...


    ...des Chokezugs und der Anschlüsse der Vergaserheizung (einer davon hier vorne im Bild, insgesamt 5)...



    ...und des großen, schwarzen Anschlusses für den Drosselklappensensor (hier direkt unter meinem Daumen zu sehen).



    Egal, bei welchem Motorrad ihr das Ventilspiel einstellen wollt - viel mehr als das kann an einem Vergaser kaum dranhängen. Außer eine Standgasschraube auf einer Welle.

  • Endlich können die Gaser nun runter. Auf dem folgenden Bild sind alle Anschlüsse zu sehen: Unten links der Drosselklappensensor, Gas-, Gassicherungs- und Chokezug, sowie fünf mal die Vergaserheizung.



    Das ganze Gedöns muss jetzt irgendwie platzsparend verstaut werden, damit es nicht im Weg rumhängt. Dann sollen die Zündkerzenstecker abgezogen werden, sonst bekommt man den Ventildeckel nicht runter.



    Außerdem müssen die Zündkerzen angelöst werden. Der Grund ist ganz einfach: Der Motor muss in Kürze mit der Knarre an der Kurbelwelle gedreht werden. Wären die Kerzen da noch fest, müsste man den Zylinder, der gerade den Verdichtungstakt beginnt, quasi per Hand verdichten. Muss aber gar nicht. Soll ja gerade gar nichts brennen. Durch die angelösten Zündkerzen kann Druck entweichen.



    Dann geht's ans Eingemachte. Der Ventildeckel wird gelöst.





    Dann stellt man fest, dass es keine Möglichkeit gibt, den Ventildeckel auch abzuheben, weil der Ölkühler im Weg ist. Und die Verkleidung stört auch.

  • Also den Ölkühler lösen...



    ...und auch die Verkleidung demontieren. Da möge jeder selbst nach den nötigen Schrauben suchen. Faustregel: Immer schlecht zugänglich und immer eine mehr als man gedacht hätte.



    Ist der Ölkühler einmal entfernt, kann man den Deckel mit etwas Geschick abnehmen. Sehr schön zu erkennen (und auch sehr unerwartet für mich, um ehrlich zu sein), dass die XJ ein Zweiventiler ist - pro Nockenwelle nur vier Nocken.



    Dies ist der Blick von der Seite, im Vordergrund die Einlassnocke (links) sowie die Auslassnocke (rechts) von Zylinder 4.



    Das Ventilspiel wird nun gemessen zwischen der Nocke und dem Stößel (bzw. hier der Einstellscheibe). Für diese Messung ist es notwendig, dass die Nocken gerade nicht auf den Stößel drücken. Dies ist bei jedem Zylinder am oberen Totpunkt (OT) des Verdichtungstaktes der Fall. Dann sind die Ventile geschlossen und wir können messen. Schön zu sehen ist das z.B. hier:

  • Da der Motor nun aber nicht selbständig dreht, müssen wir nacheinander jeden einzelnen Zylinder auf den Verdichtungs-OT stellen. Dazu nimmt man den Motordeckel links ab.





    Nun kann man direkt an der Kurbelwelle drehen. Und das machen wir auch, und zwar so lange, bis die Markierung "HT" mit jener am Zündimpulsgeber(?) fluchtet.



    Das könnte schon reichen, muss es aber nicht. Da ein Viertaktmotor (genauer: ein einzelner Zylinder eines Viertaktmotors) nur alle 720°, also alle zwei Umdrehungen zündet, kann es sein, dass noch eine Umdrehung bis zum Verdichtungs-OT fehlt. Ist dieser gefunden, kann man die erste Messung vornehmen. Im Bild unten messe ich das Auslassventil des ersten Zylinders. Das Soll des Ventilspiels am Auslass ist bei der XJ 0,21mm - 0,25mm. Meine 20er-Lehre passt schon nicht. Das Ventilspiel ist also in jedem Fall zu eng. Durch Kombination mehrerer Blätter messe ich schließlich 0,17mm. Aufschreiben!



    Dann geht es weiter. Zunächst noch das Einlassventil messen, dann wird die Kurbelwelle wird 180° weiter gedreht, damit Zylinder 2 im Verdichtungs-OT steht.



    Hier kann man erkennen, dass nur die Nocken von Zylinder 2 nach außen zeigen.

  • So werden dann alle Ventile fröhlich durchgemessen. Dabei ist zu beachten, dass die Reihenfolge der Zylinder 1-2-4-3 ist. Zylinder 3, wie unten zu sehen, wird also zum Schluss gemessen.



    Je nachdem, mit welcher Methode die Ventile eingestellt werden, müssen unterschiedliche Schritte ergriffen werden. Bei der Honda NTV werden die Ventile soweit ich weiß über Einstellschrauben justiert. Bei der XJ, der FZR und wohl den meisten anderen Motorrädern kommen Einstellscheiben zum Einsatz. Je nachdem, wie diese verbaut sind, kann es notwendig sein, die Nockenwellen komplett auszubauen. Bei der XJ ist das nicht nötig, stattdessen kommt das o.g. Spezialwerkzeug zum Einsatz. Damit wird der Stößel nach unten gedrückt, ohne dass gleichzeitig Druck auf der Einstellscheibe lastet. Mit ganz viel Fingerspitzengefühl kann man dann die Scheibe aus dem Sitz hebeln.



    265 steht drauf...



    ...und das stimmt. Ansonsten bietet sich das Nachmessen wie gesagt an, wenn die Zahl nicht mehr zu lesen ist.



    Obwohl man bei der XJ die Nockenwellen nicht entnehmen muss, ist die Einstellmethode nicht ganz ohne. Es ist nämlich ganz und gar nicht zu empfehlen, die Kurbel- und damit auch die Nockenwelle weiterzudrehen, wenn die Einstellscheiben nicht eingelegt sind. Die Nocken verhaken sich dann im Stößel und man kommt nicht weiter. Zunächst alle Plättchen zu sammeln, zu vermessen und dann neu zu sortieren ist also nur bedingt möglich.

    Nachdem ich also das Spiel jedes Ventils und jedes Einstellplättchen gemessen habe, ist das mein Ergebnis. Zylinder 1, Auslass und Zylinder 2, Einlass, kann ich einfach durchtauschen. Lediglich zwei Plättchen muss ich beim Yamaha-Händler eintauschen.



    Der Vollständigkeit halber möchte ich noch andeuten, wie man vorgeht, wenn man gezwungen ist, die Nockenwellen auszubauen. Die Messung wird natürlich bei eingebauter Nockenwelle vorgenommen, danach aber müssen die Lagerböcke vorsichtig über Kreuz gelöst und der Steuerkettenspanner entfernt werden. Dann sollte man eine Nocke nach der anderen entnehmen können. Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Steuerkette nicht ins Kurbelgehäuse fällt. Ich nehme gerne Kabelbinder, um sicherzugehen.

    Die größte Schwierigkeit dürfte der Wiedereinbau der Nockenwellen sein, denn schon um einen Zahn verstellte Steuerzeiten zwingen den Motor in die Knie. Also lieber 17x kontrollieren als falsch zu liegen.

    Beim Wiedereinbau penibelst darauf achten, dass die Kurbelwelle auf OT steht, dann die Nockenwellen nach ungefähr auf Verdichtung im ersten Zylinder ausrichten und die Lagerböcke aufsetzen. Auf denen sollten kleine Markierungen sein, die mit jenen, die ich auf dem unteren Bild rot markiert habe fluchten müssen. Sollte das nur auf einer Seite (bspw. Auslassseite) perfekt klappen und auf der anderen noch etwas Spiel sein, so kann das daran liegen, dass die Steuerkette noch nicht gespannt ist. Deshalb sollte man den Motor nach dem Einstellen mehrmals an der Kurbelwelle durchdrehen und sich dann vergewissern, dass die Markierungen immer noch fluchten.


    Ich hoffe, ich kann mit dieser Anleitung ein paar Probleme im Vorfeld aus dem Weg räumen. Über Lob, Kritik und Anmerkungen freue ich mich.

    Wer möchte, kann einen Rapidshare-Link mit allen verwendeten und weiteren Bildern in voller Auflösung per PN bekommen. Leider sind nur 10 Downloads möglich. Wenn darüberhinaus noch Bedarf besteht, werde ich die Bilder aber gerne anderweitig bereitstellen.

  • Zitat

    Dann stellt man fest, dass es keine Möglichkeit gibt, den Ventildeckel auch abzuheben, weil der Ölkühler im Weg ist. Und die Verkleidung stört auch.


    Dabei hab ich mich gerade weggeschmissen ^^ ^^ ^^


    Und das mit den Sicherheitsschuhen üben wir auch nochmal. ;)



    Ansonsten :respekt:


    Ein tolle und wunderschöne Beschreibung, kein Handbuch der Welt hat das so detailliert und so schön bebildert mit Hintergrund und allem drum und dran...dieser Thread gehört eigentlich als Lehrbeispiel für den angehenden Motorradmechaniker zur Pflichtlektüre :)


    Bin echt begeistert...ganz große Klasse! 8)


    Ist ja auch nicht Deine erste Beschreibung in der Art...willst Du mal ein Buch schreiben über sowas?



    Edit: Der gelbe "Schleim" wir emulgiertes Öl sein...vermischt mit ein wenig Benzin und allen möglichen Additiven, Pollen usw.....find ich nicht so schlimm ;)

  • Sehr geile Anleitung!! :respekt:


    Da traut man sich glatt zu das ganze mal selber nachzumessen.



    Die muss ins Most Wanted.



    Gruss Ralph

    Mir nach - ich folge euch!
    Im Niveau flexibel

  • Absolut Prima gemacht Horneburg!
    Ich stecke immer noch einen Lappen in den Schacht wo die Steuerkette läuft, so verhindert man, dass Kleinteile da reinfallen und im Nirvana verschwinden.

    Greets,
    Frank


    "Da hinten wird´s hell..."

  • @horne
    kann Fischi nur zustimmen. Eine schöne, detailierte und verständliche Anleitung die du da geschrieben hast. :respekt:


    Das mit den Sicherheitsschuhen ist eher relativ - solange die Füße sauber sind, sollte man das eher locker sehen! Außerdem ist er ja im Freiem und nicht im geschlossenem Raum ^^^^!


    Lg Oldi :mo24:

  • Echt tolle Beschreibung :respekt:


    Ich müsste bei meiner XJ auch die Ventiele mal nachstellen aber alleine traue ich mich da nicht ran. Könnte mir dabei jemand aus NRW helfen ????


    Gruß


    Christoph

  • @cwgrisu


    Kommt sich drauf an ob es dir eine Reise bis nach Aachen Wert ist hab da sehr gute Kontakte.


    Kannst dich ja mal per PN melden.

    Tiger Explorer Driver

  • Respekt ! Wirklich toll gemacht!
    Sowas sollten mehrere schreiben und wir sammeln dass dann ! Hätte ich bei meinem Ölwechsel heute auch machen sollen. Beim nächsten mal.


    Aber es ist Wahnsinn wie verbaut ein 4-Zylinder ist ! Ich nehm bei der CB den Tank ab, lös ein paar Schrauben befestige 3-4 Schläuche an der Seite und kann den Ventildeckel abheben.


    Gruß, Phil

  • Zitat

    Original von csspainkiller
    @cwgrisu


    Kommt sich drauf an ob es dir eine Reise bis nach Aachen Wert ist hab da sehr gute Kontakte.


    Kannst dich ja mal per PN melden.


    Hast ne PN


    Danke


    Christoph

  • Schön, dass die Anleitung Anklang findet!


    @grisu: Selbst ist der Mann! ;)
    @Phil: Mit dem Sammeln haben wir schon angefangen. Heißt dann "Most wanted".

  • :respekt:
    Genial, jetzt weiß ich 1. was Shims sind :D und 2. wieso das bei Yamaha so teuer ist die Ventile bei der XJ einstellen zu lassen. Das ganze ab- und wieder dran bauen der Teile dauert ja 3mal so lange wie das eigentliche einstellen oO.


    Eine Frage noch, wo bekommt man diesen Schlüssel her, bzw. wie nennt der sich?

    Don't follow me, I do stupid things

  • Von Louis zum Beispiel. Der Link ist oben. Nennt sich Hakenschlüssel, Yamaha bezeichnet ihn aber auch gerne als "YAMAHA-Spezialwerkzeug".

  • Zitat

    Original von horneburg1234
    Schön, dass die Anleitung Anklang findet!


    @grisu: Selbst ist der Mann! ;)


    Simmt aber ich habe immer etwas Angst was zu zerlegen wenn ich das das erste mal selber mache (Motortechnisch) :P


    Gruß


    Christoph

    Einmal editiert, zuletzt von cwgrisu ()

  • :danke: wandert bald ins Wiki ;)


    Zitat

    Original von Phil89
    Aber es ist Wahnsinn wie verbaut ein 4-Zylinder ist ! Ich nehm bei der CB den Tank ab, lös ein paar Schrauben befestige 3-4 Schläuche an der Seite und kann den Ventildeckel abheben.


    Dann guck mal nen V4 mit Wasserkühlung an...

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