Do, 10.5., Auvergne West
Heute Morgen haben wir Nebel am Platz und es ist echt kalt und feucht. Das drückt auf die Laune: Haben wir nicht gestern den ganzen Tag (bei Sonnenschein!) im Auto verbracht, um genau das zu vermeiden? Und jetzt ist es schon am Zelt, statt nur auf hohen Bergstrecken? Hmpf.

Leider keine schönen Aussichten am Morgen
Widerwillig steigen wir in alle Motorradklamotten die wir finden können, ich packe nun sogar noch eine Wärmefläsche ein - erster Lacher. Dann steige ich auf der Wiese bei laufendem Motor aufs Motorrad auf und trete versehentlich auf den Ganghebel statt auf die Raste. Damit fühlt sich das Hinterrad plötzlich berufen, zu drehen, und der eiskalte Pilot Power auf der feuchten Wiese sorgt dafür, dass der Motor nicht sofort abstirbt, sondern er dreht im Leerlauf einfach durch. Aber nicht lange, denn wie durch ein Wunder entstand doch irgendwie Grip zwischen dem völlig querprofilfreien Reifen und der nassen Wiese. Vielleicht hatte der Reifen beim dritten Durchdrehen schon seine Betriebstemperatur erreicht? Jedenfalls setzt sich das Motorrad in Bewegung bevor ich richtig drauf sitze und ich habe auch erst eine Hand am Lenker. Dank meiner überragenden Fahrpraxis, hervorragenden Reflexe und ausgeprägten Bescheidenheit kapiere ich sofort was los ist und kriege den Bock wieder eingefangen, statt mich schon auf dem ersten Meter auf die Seite zu legen. Das wäre dann der zweite Lacher heute.
Ich hatte zwei, drei Routen vorbereitet: Eine kurze nach Osten für Tage mit mäßigem Wetter, eine mittlere nach Westen, und eine richtig lange mit vielen Passknackerpunkten im Südwesten, die man eigentlich keinem Mitfahrer zumuten kann. Wir beginnen wegen des Nebels mit der kurzen Route. Es geht kurvig und auf mäßig guten Strecken durch den Wald in der Nachbarschaft des Campingplatzes. Feuchte Straße, wenig Sicht, keine Aussicht, und wir halten ein Auto auf. Pilot Power fragt sich auch wie er in diese Lage gekommen ist und bringt wenig Verständnis dafür auf.

Motorradnebelwandern
Nach 30 Minuten Rumeiern im feuchten Nebelwald fällt der Entschluss, dass das so keinen Sinn hat, und darum fahren wir jetzt ins Tal, hoffentlich aus der Wolke raus. Ich werfe einen Punkt ins Navi westlich der Autobahn und biege auf dem groben Weg dorthin immer in die Richtung ab, wo der Himmel heller ist. Das klappt ausnehmend gut und bald wird es warm in den Regenkombis. Wir schnappen uns eine Campingbank am Wegesrand und genießen einfach nur die Sonne. Ich nehme die besonders lange vorbereitete Tour und werfe den Anfang raus, sodass wir passend einsteigen können. Das führt weiter nach Westen, und da sieht auch das Wetter gut aus.
Auch das klappt toll, und wir erreichen vierstellige Höhen mit schönen Aussichten. Es ist eher viel Verkehr, für französische Verhältnisse. Man muss also alle fünf Minuten mal ein Auto überholen, und es scheint eine touristisch relevante Höhe zu sein, mit Aussichtspunkten auf Vulkanschlote.
Am Col de la Malmouche stellt Nic den Motor ab, und kriegt ihn danach leider nicht mehr an. Die Suzuki braucht liebevolle Anschiebehilfe. Leider ist dieser Col nicht sehr steil, aber Markus schafft es füßelnd.
Ab dem Col de la Volpilière begann eine wundervolle Strecke über eine Hochebene, bzw. ein Hochtal. Rechts und links alles grün, Weideflächen, ganz selten mal ein Haus. Und so geht das 20 km immer weiter.

Wer Passknackerpunkte abfährt, heißt Passknacker. Wer einen Passknacker dabei begleitet, heißt – Gassiknacker?
Der Col de la Croix St Robert bietet dazu wieder Abwechslung. Die Strecke sieht aus wie eine Bergrennstrecke mit den doppelten Leitplanken und einer Fußgängerüberführung, und lässt sich auch so fahren.
Am unteren Ende lockt ein Cafe mit Motorradparkplätzen, wo wir halten und die Terrasse eröffnen. Ganz schön hell hier. Und ganz schön toll! So kann ein Tag sich wandeln.
Etwas kurios gerät dann ein Tankstopp an der einzigen offenen Tankstelle weit und breit. Leider sind nur 2 Säulen in Betrieb, und diese in Automatenversion. Leider nehmen sie keine Kreditkarten, sondern nur Bankkarten, und die 8 holländischen Riesentourerfahrer vor uns müssen 1. alle einzeln tanken und 2. alle selbst nacheinander drei verschiedene Karten probieren. Wir stehen recht lange und hinter uns bildet sich eine Schlange - ein seltenes Bild. Wir tanken auf eine Rechnung alle drei Motorräder voll und sehen zu, dass wir hier wegkommen.
Es folgt eine längere Etappe durch ein Hochtal, wo rundum Weidefläche ist, und die Mitte führt die Straße in sanften Schwüngen entlang. Kein Ort, kaum ein Haus, keine Kreuzung, kein Verkehr. Total idyllisch hier. Markus kommt aus dem Schwärmen nicht mehr raus und ich freue mich, dass der Plan mit dem Umzug nun doch aufging.
Doch dann nagt das menschliche: Müdigkeit kommt auf, und Hunger noch dazu. Da bietet sich der Ort Massiac für eine Pause an. Auf dem Weg dorthin verputzt die Versys schon mal zwei vorlaute Porsche: ein Cayman aus Monaco und ein Boxster aus heimischer Haltung. In Messiac stehen noch zwei 911 GT3 rum - so ganz zufällig kann das nicht sein. Dann suchen wir im Ort ein Restaurant, und dabei Nic würgt die DR ab. Das kann ja mal passieren. Leider springt sich nicht wieder an. Wir beschließen sie hier erst mal so stehen zu lassen, parken daneben, gehen zu Fuß essen jagen, und werden die Lage danach neu bewerten.
Im ersten Restaurant kriegen wir Getränke, aber nichts zu essen, also stiefeln wir danach noch zum Bäcker, der erst auf den dritten Blick geöffnet hat, und vertilgen herzhaftes und süßes auf einer Bank am Platz. So ist Urlaub. Nach dem Verzehr ist nicht nur der Kalorienbedarf des heutigen und des nächsten Tages gedeckt, sondern auch Nics Stimmung besser.
Danach mag die DR leider immer noch nicht alleine starten. Vielleicht hätten wir ihr auch ein Törtchen mitbringen sollen. Ich baue also die Versys-Batterie aus, während Nic seine freilegt. Pol an Pol und mit Choke rappelt der Eintopf wieder los, wenn auch mit arg geringer Leerlaufdrehzahl. Nich baut alles wieder zusammen und macht sich auf den schnellsten Weg zum Campingplatz. Ich baue meine Batterie wieder ein und jage mit Markus hinterher. Wir hatten zwar nicht über den zu fahrenden Weg geredet – schnellste Route, ja, aber mit oder ohne Autobahn? – aber wir fangen Nic auf der Autobahn wieder ein. Mutig, so auf die Autobahn zu fahren, aber hey. Wir nehmen ihn in die Mitte und geleiten ihn fast ohne anzuhalten zum Campingplatz. Der Tag ist gerettet!
Auf dem Campingplatz fragt Nic noch nach einem Ladegerät, zwei Drähten zum Überbrücken und einem guten Restaurant für morgen Abend. Und siehe: Die DR darf die Nacht im Trockenen an der Steckdose verbringen, die Drähte des Kabels für die Ausfahrt morgen sind sogar isoliert, und das Restaurant hält für uns morgen Abend einen Tisch frei. Wir verbringen den Abend vor dem für uns angeschürten Kamin im alten Bauernhaus und vernichten unsere Vorräte an Bier und Cidre. Wer will die schon wieder mit nach Hause nehmen? Diesen Abend bleibt die Küche kalt, es gibt Baguette, Salami, Käse und diversen Süßkram. Außerdem ungefähr das gesamte restliche Bier. Angesichts der bisherigen kulinarischen Leistung von M+N lade ich für den Folgeabend ins Restaurant ein, denn ich habe mich beim Kochen immer vornehm zurückgehalten. Das war für alle Beteiligten sicherlich das Beste.

Wir sind heute insgesamt beachtliche 339 km gefahren, das meiste davon mit 1A Fahrspaß. Für den neblig-kalten Start ein echt gutes Ergebnis. Danke ans Passknackerteam, dass man jetzt auch in der Fremde leicht solche Traumstrecken findet!